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Ausgabe: 8/2012, Seite 62 - Kultur & Gesellschaft
Das ungeplünderte Grab einer keltischen Fürstin – ein spektakulärer Fund. Wer war die Frau, die vor 2600 Jahren mit Gold und anderen Kostbarkeiten bestattet wurde?
Text: Cornelia Varwig und Dirk Krausse (Grabungsleiter), Fotos: Wolfram Scheible
So eine Adelsdame ist nicht einfach im Umgang. Ihre Versorgung ist aufwendig, bisweilen kostspielig. Sie braucht viel Aufmerksamkeit und hat spezielle Bedürfnisse. Letzten Sommer etwa produzierte eine Maschine täglich 200 Kilogramm zerstoßenes Eis, eigens um ihr Kühlung zu verschaffen. Will man der Hoheit ihre Geheimnisse entlocken, muss man sich ihr bäuchlings nähern, zentimeterweise. Und das alles, obwohl – oder vielmehr weil – sie längst unter der Erde ist.
Die zimmergroße Grabkammer wurde vor gut anderthalb Jahren im oberen Donautal zwischen Herbertingen und Hundersingen entdeckt. Der durch jahrzehntelange Landwirtschaft planierte Grabhügel gehörte zur sogenannten Bettelbühl-Nekropole in Sichtweite der Heuneburg, einem der frühesten und bedeutendsten Fürstensitze der Kelten (siehe Kasten S. 65 „Die erste Stadt Mitteleuropas“). Das Grab stammt aus dem 6. Jahrhundert v.Chr. und damit aus der späten Hallstattzeit – der glanzvollen Ära erster Machtzentren unter keltischer Herrschaft.
Zunächst war die Befürchtung groß, das Grab sei – wie so viele andere Zentralgräber um die Heuneburg – längst geplündert worden. Doch Gold- und Bernsteinschmuck mitsamt weiteren üppigen Beigaben und allerlei Überraschungen begruben die Sorge der Archäologen bald.
Fürstin? Prinzessin? Priesterin?
Die Bestattete gehörte unverkennbar der damaligen Adelsschicht an. War sie eine Fürstin, eine Prinzessin, eine Priesterin? Und: Wer lag da noch mit im Grab? Für die Archäologen ist dieses bisher älteste Prunkgrab einer keltischen Frau in jedem Fall der bedeutendste südwestdeutsche Fund seit der Entdeckung des „Fürsten von Hochdorf“ in den 1970er-Jahren.
Schnell stand fest: So weit vom nächsten Ort in der Donauebene entfernt, war an eine systematische Freilegung nicht zu denken. Außerdem musste verhindert werden, dass der kostbare Fund Neugierigen und Grabräubern ausgeliefert war. Die Lösung lautete: Blockbergung. Zwei Kräne waren nötig, um den 80 Tonnen wiegenden „Keltenblock“ aus dem Maisacker zu heben (siehe Beitrag „22 Monate Nervenkitzel“ ab S. 71). Dann verfrachtete ein Schwertransporter den Koloss aus Erde, Donaukies, Eichenplanken, stützenden Stahlrohren und -wänden – flankiert von Polizeieskorten – an einen geheimen und unscheinbaren Ort in Ludwigsburg. Der 7,5 mal 5,6 Meter messende Quader verschwand unter einem abschließbaren Industriezelt.
Eingeweihte erreichen die verpflanzte Grabungsstätte, indem sie eine kleine Treppe zur hölzernen Plattform hinaufsteigen, die den mehr als zwei Meter hohen Aufbau umgibt. Der Clou daran sind zwei bewegliche Arbeitsbühnen, die direkt über der Kammer installiert sind. So können die Ausgräber über der 42-Quadratmeter-Fläche, quasi schwebend, jeden Flecken Erde untersuchen.
Und hier liegen sie nun, die Archäologen, Restauratoren und Grabungstechniker, seit April 2011 fast jeden Tag und schauen hinab in die Vergangenheit. Die anfänglichen Nackenschmerzen haben mittlerweile nachgelassen, doch die Augen schwellen nach Stunden in der Bauchlage jedes Mal aufs Neue. Für die Chef-Restauratorin Nicole Ebinger-Rist und das Grabungsteam sind das nur Wehwehchen, die sie nicht daran hindern, ihren Dienst am Keltenblock mit Hingabe, wenn nicht mit einer Portion Besessenheit zu verrichten. Millimeter für Millimeter tragen die Forscher mithilfe von Feinspatel, Stachelschweinborste, Lupenlampe und Mikroskop die Erde ab. Auf dem freien Feld wäre so viel Behutsamkeit nicht möglich gewesen.
Wie sich bald herausstellte, waren zwar keine Grabräuber am Werk gewesen – die Kammer war wohl irgendwann eingestürzt und damit unzugänglich geworden. Dafür hatte sich aber ein „natürlicher Feind“ an dem Kulturgut im Boden zu schaffen gemacht. Denn das Grab war zu nah am Wasser gebaut. Jahrhundertelang hatte es der Bettelbühlbach immer wieder geflutet, wenn er über die Ufer trat. Für archäologisch wertvolle Materialien wie Bronze und Eisen war das pures Gift. Die Feuchtigkeit allein war allerdings nicht das Problem. Was besonders zerstörerisch wirkte, war das wechselnde Milieu. Das Wasser kam und ging – und jedes Mal, wenn wieder Luft ins Grab drang, bekam der Verfall einen neuen Schub.
Wasser und Eis gegen Schimmel
Die Nässe hatte aber auch ihr Gutes. Für organische Reste, etwa Fell und Pflanzenfasern, sowie für die hölzernen Kammerwände war sie sogar ein Glücksfall: Nur aufgrund der Feuchtigkeit sind die massiven Eichen- und Tannenbalken überhaupt erhalten geblieben. Allein sie machen den Fund für die Archäologen äußerst wertvoll. Denn über die Jahresringe im Holz können Dendrochronologen Fundstücke auf wenige Jahre genau datieren. Erste Proben deuten an: Die Eichen für die Bodendielen wurden bereits im frühen 6. Jahrhundert v.Chr. gefällt. Damit wäre die Fürstin im ältesten belegten Schachtgrab bestattet worden. Bisher nahmen die Forscher an, dass solche Gräber bei der frühkeltischen Elite erst ab etwa 540 v.Chr. üblich waren. Um zu verhindern, dass das Holz und die anderen empfindlichen Materialien jetzt anfangen zu schimmeln, gehört es zum täglichen Geschäft der Grabungsmannschaft, den Block mit viel Wasser und Eis zu befeuchten und zu kühlen.
Auch Gold und Bernstein überstanden die regelmäßigen Flussbäder unbeschadet. Schon früh stießen die Ausgräber auf eine Fibel. Die Gewandbrosche ist elf Zentimeter lang und besteht bis in die Nadelspitze aus Massivgold. Zur ersten Fibel gesellte sich alsbald eine zweite – zur Freude, aber nicht zur Verwunderung der Experten, denn die schmucken Stücke wurden üblicherweise paarig an der Kleidung getragen.
Fünf Christbaumkugeln
Nach und nach kamen außerdem fünf goldene, kunstvoll verzierte Kugeln ans Licht von je 2,3 Zentimeter im Durchmesser. Zusammen mit zahlreichen goldenen Röhrchen und Bernsteinperlen, die auf Brusthöhe der Toten lagen, bildeten die Kugeln vermutlich ein auf Lederbänder gefädeltes Collier. Da zwei der Goldkugeln kurz vor Weihnachten 2011 aus der Erde blitzten, erhielt das goldene Quintett scherzhaft den Namen „Christbaumkugeln“.
Mit diesem Brauchtum hat der Goldschmuck freilich nichts zu tun. Anleihen aus einer anderen Kultur sind für die Experten aber unverkennbar: der etruskischen. Das Volk der Etrusker bevölkerte seit dem 8. Jahrhundert v.Chr. die andere Seite der Alpen in den heutigen Regionen Toskana, Umbrien und Latium. So wie die italienische Lebensart heute auf viele Nord- und Mitteleuropäer anziehend wirkt, hatten wohl auch die Kelten ein Faible für das Mediterrane und pflegten intensive Kontakte zu den südlichen Nachbarn. Keltische Keramikschalen, Bronzegefäße, goldene Schmuckstücke und sogar Bauwerke – am deutlichsten die Lehmziegelmauer der Heuneburg – haben ihre Vorbilder dort. Bis nach Sizilien und Griechenland reichte das Handels- und Ideennetz. Letztlich bedienten sich die frühen Kelten bei allen, die etwas konnten. Doch sie ahmten die anderen Kulturen nicht einfach nach, sondern kreierten aus den fremden Einflüssen und eigenen Traditionen etwas Neues (siehe Beitrag „Kelten konnten Kunst“ ab S. 74).
Was die Goldbearbeitung anbelangt, waren die Etrusker damals führend. Heißt das: Ein etruskischer Goldschmied war zur Schmuckfertigung an der Heuneburg angestellt? Oder hatte ein einheimischer Kunsthandwerker das Know-how von einer „Bildungsreise“ in den Süden mitgebracht? Die Kostbarkeiten könnten auch als Gastgeschenk ans Dekolleté der vornehmen Dame gelangt sein.
Ringe aus schwarzem Bernstein
Die Adelige trug noch mehr Schmuckstücke auf ihrem Totenbett: sieben Ringe aus Gagat (auch „schwarzer Bernstein“ genannt) an den Armen und je zwei Bronzeringe an den Füßen. Die Feuchtigkeit hat ihnen stark zugesetzt. Welche hohe handwerkliche Qualität die Bronzebeigaben einst hatten, belegt das verzierte Gürtelblech, das die Adelige um die Hüfte trug. Daran muss eine drei Zentimeter große Bernsteinkugel gehangen haben, die ebenfalls dort lag. Der Bernstein stammt wahrscheinlich aus dem Nord- oder Ostseeraum.
Doch die schmückende Tracht war längst nicht alles, was die Keltendame in ihrem Totenzimmer bei sich hatte. Links von ihrem Fußende präparierten die Experten zwei geschwungene Hauer von Wildschweinkeilern frei – in Bronze gefasst und so zueinander gelegt, dass sie fast einen Ring ergeben. Kurz darauf tauchte ein zweites solches Paar auf. In der Nähe liegt zudem ein Haufen kleiner dreieckiger „Klapperbleche“ aus Bronze mit Ösen. Dabei könnte es sich um Teile eines Pferdegeschirrs handeln. Die wurden manchmal als Pars pro Toto für einen Wagen mit ins Jenseits gegeben.
Wagenausstattungen oder komplette Gefährte waren Statussymbole. Sie zeigten die hohe gesellschaftliche Stellung eines Verstorbenen an. Der Fürst von Hochdorf etwa hatte einen Wagen mit im Grab, genau wie andere Keltenmänner von hohem Rang. Neue Untersuchungen der Münchner Archäologin Carola Metzner-Nebelsick sprechen dafür, dass auch Frauen, die mit einem Wagen bestattet wurden, eine politische Funktion inne hatten. Wagen oder nicht Wagen, das ist die Frage bei der Frau vom Bettelbühl. Archäologisch nachweisbar ist derzeit keiner – und das könnte auch schwierig werden: Die filigranen Hölzer und die Beschläge aus Eisen könnten sich im Laufe der Zeit verflüchtigt haben.
Und was ist mit dem Trinkservice – eine häufig aus Bronze gefertigte Beigabe, die in Gräbern dieses Kalibers fast zur Standardausstattung gehört? Es charakterisierte die Bestatteten als Gastgeber für Gelage. In einigen Fällen haben sich in den Gefäßen sogar Reste von Met erhalten. Die Überbleibsel von ein paar verzierten Bronzeblechen, die sich zu Füßen der vornehmen Dame von der Heuneburg befanden, könnten von einem solchen Trinkservice stammen.
Suppenfleisch von alten Kühen
Auch ein anderer Fund lässt sich als Symbol üppiger Gastmahle deuten: der Schädel eines jungen Schweins. Das Fleisch von Schweinen war damals sehr begehrt. Nur die Oberschicht konnte sich diesen Luxus leisten. Die weniger Privilegierten mussten sich – sofern überhaupt tierische Kost auf ihrem Speisezettel stand – mit „Suppenfleisch“ von alten Kühen begnügen, die zum Milchgeben nicht mehr taugten.
Bevor der Schweineschädel zutage trat, hatte ein anderer Gegenstand die Aufmerksamkeit der Forscher auf diese Stelle im Grab gelenkt: ein filigran verziertes Band aus Gold, 28 Zentimeter lang, mit einem linsenförmigen goldenen Anhänger. Es wurde vermutlich wie eine Kreole als Ohrring getragen. Sogar der Verschluss ist noch intakt.
Warum der Ohrschmuck dann nicht am Kopf-, sondern am Fußende der Bettelbühlerin gefunden wurde, lässt sich womöglich durch den sonderbaren Umstand erklären, dass auch ihr Schädel nicht mehr am rechten Fleck lag, sondern rund drei Meter entfernt – vorausgesetzt, der Schädel gehört zum kopflosen Skelett der Fürstin. Anzunehmen ist es, doch „das wissen wir erst, wenn das Grab komplett geräumt ist“, sichert sich der Konstanzer Anthropologie-Professor Joachim Wahl vom Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg ab. Vielleicht taucht dann auch noch ein zweiter Ohrring auf.
Zwei Szenarien für die „Wanderung“ des Schädels sind denkbar. Das erste: Nachdem der Körper verwest war, wurde der hohle Schädel vom eindringenden Wasser fortgetragen – das setzt allerdings eine intakte Grabkammer voraus. Als Joachim Wahl im Computertomografen Bruchkanten am Schädel entdeckte, kam er auf das zweite mögliches Szenario: „Die Kammerdecke stürzte ein, ein Balken versetzte dem Schädel einen starken Drall und beschädigte ihn dabei.“ Es wäre auch eine Verletzung vor dem Tod denkbar, denn „es könnte auch eine Fraktur am frischen Knochen sein.“
katastrophal Mürbe Knochen
Untersuchungen am restlichen Skelett sind kaum möglich. „Im Vergleich zu anderen Funden aus der vorrömischen Eisenzeit ist der Erhaltungszustand der Knochen eine Katastrophe“, bedauert Wahl. Er finde kaum ein solides Knochenstück, das meiste zerfalle bei Berührung. Ein paar Erkenntnisse konnte der Experte dem maroden Skelett dennoch entlocken: Neben dem Schmuck spricht auch der grazile Körperbau für eine Frau. Sie war ungefähr 1,62 Meter groß und – nach den Abkauspuren an den Zähnen zu urteilen – zwischen 30 und 40 Jahre alt. Das Körpergewicht und sogar den Body-Mass-Index will Wahl noch über Messungen an den Oberschenkelknochen ermitteln. „Doch für eine DNA-Analyse ist kein brauchbares Dentin mehr in den Zähnen erhalten“, bedauert der Anthropologe.
Dabei hätten Gen-Daten die Sache noch interessanter machen können – vor allem was die Verwandtschaftsverhältnisse betrifft. Denn die Adelige war in ihrem Grab nicht allein.
Im August 2011 stieß das Grabungsteam in einer Ecke der Kammer auf ein zweites Skelett. Irritation Nummer eins: Doppelbestattungen von Paaren sind zwar bekannt, doch üblicherweise liegt dann der Mann im Zentrum des Grabs. Nach den ersten Untersuchungen kam es zur Irritation Nummer zwei: Es handelt sich wahrscheinlich gar nicht um einen Mann, sondern um eine zweite Frau. Irritation Nummer drei: Sie wurde deutlich ärmer bestattet, trug – soweit ersichtlich – nur einen bronzenen Armreif. Schließlich Irritation Nummer vier: Sie war höher gebettet als die Fürstin, vielleicht auf einer Liege.
Die rätselhafte Begleiterin
War die Frau eine Magd und musste ihrer Herrin auch im Totenreich zu Diensten sein? Doch wieso sollte eine Dienerin den höheren Platz einnehmen? Sie wurde nachträglich im Grab beigesetzt, wäre eine Antwort. Doch geklärt ist dieses Rätsel nicht. Und auch das ist noch nicht alles. Es gab offenbar noch jemanden in der Nähe, der der Adelsfrau bei ihrer Totenruhe Gesellschaft leistete. Eine kurze Rückblende: Fünf Jahre vor der Entdeckung des Prunkgrabs hatte der Tübinger Archäologe Siegfried Kurz auf dem Maisacker eine Begehung mit Studenten gemacht. Plötzlich bemerkte ein Student einen Gegenstand unter seinem Schuh, der im ersten Moment wie der Schraubverschluss einer Saftflasche aussah. Doch es war eine goldene Fibel.
Zu behaupten, er hätte damit eine Bestattung entdeckt, wäre zu viel gesagt, denn gefunden wurden nur neun Zähne. Sie genügten dem Anthropologen Wahl jedoch, das Alter des Menschen zu bestimmen: Es war ein kleines Kind, etwa drei Jahre alt, wahrscheinlich ein Mädchen.
Zu der vergoldeten Bronzefibel, die in der Nähe des Prunkgrabs gelegen hatte, gesellte sich bald eine zweite. Auch zwei filigran verzierte massiv-goldene Anhänger schmückten die Überreste des Kindes.
Eine Gen-Analyse ist auch hier mit den heutigen Mitteln nicht möglich. Doch fest steht: Zwischen dem Mädchen und der Mächtigen gibt es eine Verbindung. Denn die beiden Kinderfibeln sind Miniaturausgaben jener Stücke in der Grabkammer. Und die kleinen Anhänger finden ihre Entsprechung im Anhänger des großen Ohrrings. Hatte ein Goldschmied ein Ensemble für Mutter und Tochter geschaffen?
Der Gedanke hat enorme Tragweite. Denn er gibt einem alten Streit neuen Zunder: Wie wichtig war so etwas wie Erbfolge in der damaligen Gesellschaft, und welche Bedeutung kam dabei den Frauen zu? Überließen sie als Heimchen am Herd den Häuptlingen das Sagen? Oder mischten sie als Teil der herrschenden Familie in der Führungselite mit?
Für die Zeit um 500 v.Chr., also rund 100 Jahre später, ist die Frage weitgehend beantwortet. In Burgund legten Archäologen 1953 das enorm reiche Grab einer keltischen Dame frei. Ein goldener Halsring, eine Spendenschale und weitere Insignien der Macht weisen die „Prinzessin von Vix“ deutlich als den Männern ebenbürtige Herrscherin aus.
wichtige mütterliche Linie
Zu Lebzeiten der Bettelbühlerin bildete sich gerade erst eine Adelsgesellschaft heraus. Die Macht lag in den Händen einzelner Clans. Dabei gewannen auch die Frauen der herrschenden Familien an Bedeutung. Nicht unbedingt als aktive Politikerinnen – eher als Garantinnen für die Weitergabe von Ansehen und Identität der offenbar wichtigen mütterlichen Linie.
Es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass der Keltenkönig Ambigatus ausgerechnet die beiden Söhne seiner Schwester und nicht seine eigenen Söhne zur Besiedlung neuer Gebiete entsandte. Das berichtet der römische Historiker Livius und liefert damit möglicherweise den Schlüssel zum Verständnis frühkeltischer Machtstrukturen. In der Onkelherrschaft (Avunkulat) ging das Erbe eines Mannes nicht auf die Söhne seiner eigenen Frau, sondern auf die seiner Schwester über. Als Mütter der erbberechtigten Neffen erlangten die Frauen dadurch eine gesellschaftlich starke Position.
Verhaltensbiologen gehen davon aus, dass dieses Prinzip vor allem in Gemeinschaften mit ausgeprägter Promiskuität der Frauen praktiziert wurde: Der Herrscher konnte auf die Weise sicherstellen, dass seine eigenen Verwandten an die Macht kamen und nicht etwa Kuckuckskinder. Man würde Livius’ Textstelle allerdings überstrapazieren, wollte man daraus auf die eheliche Treue frühkeltischer Frauen schließen.
Die Schwester des Herrschers?
Wenn die Bettelbühlerin nicht selbst regierte – war sie vielleicht die einflussreiche Schwester eines Herrschers? Auf jeden Fall liefert sie den Beleg, dass es in dieser frühen Phase der Keltenkultur nicht nur ranghohe Männer gab. Und sie stützt zusammen mit dem Kind die These, dass Adelsdynastien existierten, die qua Geburt den Anspruch auf eine hohe gesellschaftliche Stellung versprachen: Das Mädchen bekam den Schmuck ins Grab gelegt, der ihm von seinem sozialen Rang her im späteren Leben zugestanden hätte. Jetzt vereint er die Generationen im Totenreich. ■
Für DIRK KRAUSSE, Landesarchäologe von Baden-Württemberg und Leiter der Grabung (Bild oben), ist der „Keltenblock“ seine bisher größte Entdeckung. Nachdem die bdw-Redakteurin CORNELIA VARWIG (unten) die Ausgräber meist in Bauchlage mit gesenktem Kopf antraf, weiß sie ihren „Schreibtisch-Job“ richtig zu schätzen. Der Fotograf WOLFRAM SCHEIBLE (rechts) empfand die Ausgrabung wie eine Auferstehung, bei der die Fürstin zu einer zweiten Existenz erweckt wurde.